Rennkind

Rennkind                                                   2014

oder das bittere Ende von zu ehrgeizigen Plänen der Eltern

In der Siedlungstraße, ewa 400 m von unserem Haus entfernt, wohnt eine rennsportbegeisterte Familie. Die haben drei Kinder, eine etwa siebenjährige Tochter und deren beiden Brüder, der eine ist vielleicht fünf Jahre alt und der älteste so etwa elf oder zwölf Jahre. Dieser älteste Sohn wurde schon von frühester Kindheit an von den Eltern in den Rennsport regelrecht hinein erzogen. Keine Frage, der Sohnemann hatte auch selbst Spaß daran. Welcher Junge hätte das nicht? Aber man muss schon sagen, die haben den ständig hart trainiert und waren, zumindest im Sommer, eigentlich jedes Wochenende unterwegs. Entweder irgendwohin zu Trainigsläufen unter sachkundiger Leitung von ehemaligen Rennsportgrößen, die überdies nicht gerade preiswert waren oder zu richtigen kleinen Rennveranstaltungen, die es europaweit wohl auch schon für den fahrerischen Nachwuchs gibt. Dabei hatte der Sohn auf Betreiben des Vaters zuerst mit Motocross - Rennen begonnen, also auf solchen kleinen Geländemopeds durch alte Kiesgruben zischen, weil der Vater früher selbst mal in diesem Sport unterwegs war. Jedoch die Geschichte mit den Zweirädern war nicht so die Sache vom Filius. Wegen mangelnder Begeisterung für die staubige und oft sehr matschige Angelegenheit, landete der da meist nur auf den letzten Plätzen, wenn er nicht sogar ganz ausschied. Bei einigen Proberunden stellte sich dann raus, dass er bei sogenannten Kartrennen deutlich besser und begeisterter unterwegs war. So verlagerten die sich auf diese Sportart. Auch eigene Fahrzeuge wurden angeschafft, sowohl mehrere Karts mit spezieller Rennausrüstung, als wie auch die dazu passenden Transportmittel, um von einer Veranstaltung zur nächsten zu fahren. Das ging so über einige Jahre und wie der Vater mit stolz geschwellter Brust jedem berichtete, der es hören wollte oder auch nicht, muss der Filius da auch öfters unter den ersten 5 gewesen sein, jedenfalls bei solch kleineren regionalen Rennen. Man muss schon sagen, die entwickelten, nach Meinung von Kayla und mir, da schon wahnhafte Züge. Hier die rund 2 km lange Sackgasse zu den alten beiden brach liegenden Industriemühlen hin, wo eigentlich nie Verkehr herrscht, weil da keiner hin muss, wurde oftmals kurzerhand zur Trainingsstrecke umfunktioniert. Der Vater stand mit Stoppuhr und Sprechfunkgerät bewaffnet hier oben am Ausgangspunkt der “Rennstrecke” und die Mutter mit gleicher Ausstattung am Ende der Piste unten bei den Mühlen. Dann wurden die Zeiten gestoppt und der Junge angetrieben noch ein paar Sekunden rauszuholen. Falls doch mal ein Auto dort kam, wurde über Sprechfunk bescheid gesagt, damit der motorisierte Knirps mal am Rand eine Pause macht, bis der Wagen durch war. Schon bei diesen Sackgassentrainings, die ich manchmal zwangsläufig oben aus dem ersten Stock unseres Hauses mitbekam, dachte ich öfters, wenn das mal gut geht. Nicht selten raste er mit einer Seite des Karts über die Botanik, so als wolle er sagen, ich brauch die Asphaltbahn nicht wirklich. Selbst wenn Sohnemann die Faxen dicke hatte und nach 15 Touren nicht mehr wollte, wurde er von den Eltern mit repressiven Methoden dazu genötigt noch weitere Probeläufe hin zu legen. Da ging es schon mal laut zu, wobei die Beschimpfungen und Wutausbrüche vom Vater noch locker das Gelärme des quietschigen Motors, der an zu hoch drehende Kettensägen erinnerte, deutlich übertönte. Androhungen wie Fernseh-, Computer- und Smartphoneentzug waren dabei noch die harmlosesten Sachen, die dem Bürschlein lautstark in Aussicht gestellt wurden, falls er nicht so spuren würde, wie die Alten sich das dachten. Je nachdem wie die drauf waren, wurde ihm auch schon mal ein mehrwöchiger Essensentzug unter dem Stichwort Nulldiät oder ein Urlaub bei Onkel Hubert in Freiburg angedroht. Was immer half. Nun weiss ich nicht, was dieser mysteriöse Onkel Hubert für ein Ferienprogramm bot, aber das Argument zog besser, als alles andere. Die waren regelrecht besessen von der Idee, dass ihr Knäbchen der nächste Schumacher oder Vettel wird. Da die eigentlich ursprünglich bis vor ein paar Jahren im Schwarzwald gewohnt hatten, was von hier ja nicht so sehr weit weg ist, hatten sie ihrem Sohn schon großkotzig den Spitznamen “Schwarzwald - Schumi” verpasst. Damit nicht genug. Die Verrückten hatten sogar schon Autogrammkarten von ihrem Sohn mit dieser Bezeichnung drucken lassen. Doch dann kam wohl ihr schwärzester Tag Anfang des zurückliegenden Sommers. Bei einer Trainingsveranstaltung in der Schweiz hatte das Kartgefährt von deren Sohn mit einem Hinterreifen ein anderes Kart berührt, dadurch geriet es so aus der Bahn, dass es auf einen Altreifenstapel geschleudert wurde, der aus Schutzgründen am Rand stand. Was normalerweise gerade solche “Entgleisungen” abfängt, wirkte sich hier jedoch nachteilig aus, da er irgendwie leicht abhob und oben auf dem Reifenstapel aufschlug, dadurch verstärkte sich der Katapulteffekt nur noch und er wurde in eine ganz andere Richtung umgelenkt, landete wieder auf der Fahrbahn, wo er zuerst mit zwei weiteren Rennteilnehmern kollidierte, dass die Fetzen flogen, und von dor wurde er dann wieder abgelenkt und in eine Betoneinfassung von einem Zaun geschleudert. Sein Kart soll danach praktisch nicht mehr vorhanden gewesen sein, nur noch einzelne Fetzen davon verteilt im Umkreis von 150 Metern. Der Junge musste schwerverletzt mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden. In gewisser Weise kann man noch von Glück im Unglück sprechen, weil er überlebt hat und weil die die Ärzte in der Klinik ihn innerhalb von rund drei Monaten wieder recht gut zusammengeflickt haben. Das muss man einfach so sagen. Unterdessen ist Rennsport für alle Zeit für ihn vorbei, einerseits weil er Behinderungen zurück behält, er humpelt jetzt und ein Arm hat in bestimmten Bereichen Bewegungseinschränkungen, andererseits weil er seit dem Unfall schon Schreikrämpfe und Anfälle kriegt, wenn er nur das Motorengeräusch von Rennfahrzeugen hört. Selbst laute Autos auf der Straße lösen schon nervöse Zuckungen und verdrehte Augen aus. Die Ärzte haben wohl gesagt, dass diese ganzen Behinderungen ihn wohl ab jetzt sein Leben lang begleiten werden. Es gäbe eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass diese Anfälle im Laufe von etwa 5 Jahren deutlich weniger würden, aber ganz weg gehen sie wohl eher nicht.

Heute machen sich die Eltern natürlich Vorwürfe. Es hieß aus den Reihen der Nachbarschaft, dass der Vater das zweite, noch vorhandene und intakte Kart, eigenhändig im Garten des Hauses mit einem schweren Vorschlaghammer über 2 Stunden lang zertrümmert hätte. Die Restteile hätte er einem durchreisenden bulgarischen Schrottsammler mitgegeben.

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