Nachbardorf 1

Ein Nachbardorf

Warum soll eine Exkursion nicht einfach mal in ein Nachbardorf gehen, welches man bisher selbst noch nicht wirklich näher kannte ? Da gibt es in so manchem Ort sicher recht Interessantes zu entdecken und man wundert sich darüber, dass man das noch nicht wusste, obwohl es nur einen Steinwurf weit entfernt liegt. Diese Erkundung macht jedenfalls Lust darauf, sich demnächst weitere Dörfer und Städtchen der Umgebung etwas näher anzusehen.

Entvölkerung - oder der Letzte macht das Licht aus

In einem Nachbardorf, welches rund 14 km von hier entfernt liegt, hat man seit Jahren extrem mit schwindender Einwohnerzahl zu kämpfen. Hatte der einst für Landverhältnisse gar nicht mal so kleine Ort noch vor etwas über 10 Jahren über 2.000 Einwohner, so ist diese inzwischen auf knapp 890 Leute geschrumpft, also mehr als eine Halbierung innerhalb dieser doch recht kurzen Zeit.

Ein Dorf blutet aus

Der dort zuständige Bürgermeister sowie die verbliebenen Einwohner machen sich große Sorgen, dass der Trend so weiter geht und dass das Dorf bald zu einer reinen Siedlung schrumpft oder sogar ganz von der Landkarte verschwindet. So schrillen langsam, wenn nicht schon zu spät, die Alarmglocken. Zuerst muss ergründet werden, warum gerade in dem Dorf ein derart hoher Einwohnerschwund zu verzeichnen ist, dann sollen mit Hilfe des Landes Programme aufgelegt werden, die den Trend wenigstens stoppen oder noch besser, die ihn umkehren. Als

wir neulich einen Bericht darüber gelesen hatten, machte es uns neugierig, sich dort mal in echt umzusehen. Obwohl der Ort so nah liegt, waren wir bis dahin in den ganzen 11 Jahren, wo wir hier wohnen bestenfalls 2 mal dort durchgefahren, da er abseits sämtlicher größeren Straßen liegt. Wir erwarteten ein düsteres, tristes Kaff, aber so ist es gar nicht, für eine Ortslage eigentlich sogar ganz hübsch, weil zwischen den meisten Häusern viel Platz ist. Es ist ja Geschmackssache, aber ich kann es nicht ausstehen, wenn die Bebauung sehr dicht ist, wo Haus an Haus steht und gedrängte Enge herrscht, aber das ist hier gar nicht. Man kann den Ort zwar nicht gerade als ein besonders schmuckes Dorf bezeichnen, das wäre sicher übertrieben, aber eigentlich doch ganz ansehnlich. Im Süden und Südwesten blickt man auf seichte Bergrücken, die teils mit kleinen Wäldern und zum größten Teil mit Feldern bestückt sind. Im Norden geht es innerorts relativ steil bergauf, gleich nach der Ortsgrenze folgt ein größerer Wald. Nach Osten verläuft die Landschaft etwas flacher und die Bebauung zerfließt in diese Richtung in immer weiter werdende Abstände, also Leerräume zwischen den einzelnen Häusern, bis ganz weit hinten nur noch ein einsames Haus als östlicher Vorposten des Ortes steht. Wir hielten dort mal an, kurz hinter der einstigen Dorf - Gaststube, die allerdings schon seit über 6 Jahren geschlossen hat. Auf dem Bildchen oben sieht man die Gaststätte rechts hinter dem großen Baum. Dort war sogar mal ein kleiner Biergarten, der inzwischen zugewuchert ist, an dem Gaststättenhaus steht ein Schild “Zu verkaufen”, mit der Adresse eines Immobilienmaklers aus Pforzheim. Eine junge Frau schaute aus sicherer Distanz unserem neugierigen Treiben zu, es kann aber auch sein, dass sie auf einen Linienbus wartete, denn kurz dahinter war die Bushaltestelle und immerhin, Busse fahren hier noch. Das weisse Haus in Bildmitte ist noch bewohnt, das nächst folgende sowie das weiter unten sichtbare Fachwerkhaus stehen leer, machen aber noch einen einigermaßen gepflegten Eindruck. Im alten Dorfkern noch weiter unten gab es früher mal viele Geschäfte: Schreibwaren- und Zeitschriftenladen mit Poststelle, Bäckerei, Metzgerei, Änderungsschneiderei, Friseur, weiter südlich am Ortsrand sogar mal eine Tankstelle mit angeschlossener Autowerkstatt für VW; alles schon lange dicht. Die Läden sind alle noch erhalten, wie damals, nur in schlechtem Zustand. Die alte Tankstelle ist noch mit grünen BP - Schildern versehen, einer Benzinmarke, die es in Deutschland schon schätzungsweise 15 Jahre nicht mehr gibt, weil sie in Aral aufgegangen war, jedenfalls hierzuland. Somit ein Indiz dafür, wie lange die Tanke schon dicht sein dürfte. Im ehemaligen, kleinen Ausstellungsraum des angebauten Autohauses hängen noch vergilbte Werbeplakate für den VW - Passat - Variant, wohlgemerkt für eine Version, die vor 20 Jahren mal modern war. Also das Sterben gehört hier schon länger zum gewohnten Bild. Unten im Ort stießen wir auf einen älteren Herrn, mit dem wir ins Gespräch kamen, der beschimpfte die Verwaltung, die habe vor langer Zeit dafür gesorgt, dass alle möglichen Steuern und Gebühren ins Uferlose angehoben worden wären und ständig Kosten für Ausbaumaßnahmen, die kein Schwein braucht (Originalzitat), auf die Leute umgelegt worden wären. Heute haben sie die Quittung dafür und das Dorf gehe ein. Außerdem wäre das Dorf schon vor 20 Jahren total überaltert gewesen, so dass davon inzwischen viele Leute gestorben sind und neue kamen nicht nach. Bis ungefähr 1985, hatte es sogar mal einen eigenen Bahnhof dort gegeben, mittlerweile ist die ganze

Bahnstrecke schon seit über 15 Jahren weg. Am östlichen Rand fanden wir noch Reste des ehemaligen Bahnhofs, der sogar über eine Bahnsteigüberdachung verfügte, was bei kleinen Bahnhöfen eher unüblich war. Ein Bahnhofsgebäude fanden wir nicht, Gleise sind dort keine mehr, eigentlich noch nicht mal ein richtiger Zuweg, man muss schon über einige Matschpisten steigen, um an diesen verwilderten Bahnsteigrest zu gelangen. Die alte Bank wurde mal ausgebessert und scheint heute im Sommer als Treff

Überrest des ehemaligen Bahnsteigs
Reste der Groberzschmelze

für die Dorfrentner zu dienen, wo die sich in perfektem Ambiente an die besseren Zeiten des Ortes erinnern können. Zudem gab es einst zwei durchaus bedeutende Fabriken in dem Nest, die beide längst geschlossen haben. Zu diesen Werken pendelten früher viele Leute aus dem 30 km - Umkreis. Ein Betrieb war eine Groberzschmelze und der andere produzierte Spielzeug. Von beiden Werken gibts noch einige Restbauten. Die recht imposante Groberzschmelze verfügt bis heute noch über 5 Restgebäude, 3 nostalgische Schornsteine, aus denen der letzte Qualm vor 23 Jahren dampfte, und Halden mit alter Schlacke, jedoch die meisten Gebäude wurden schon abgerissen.

Rund 150 m südlich von der ehemaligen Groberzschmelze steht noch die frühere Villa des Werksbesitzers. Genauso verlassen und noch mehr vergessen, wie die eigentliche Fabrikanlage, denn rundum wuchert alles zu. Ein sehr trauriger Anblick und extrem schade, da das Gebäude in einem  aufwendigen Baustil gebaut ist. Es müsste eigentlich unter Denkmalschutz stehen. Vielleicht tut es das auch, aber wenn keiner mehr da ist, der was dran machen will oder kann, dann hilft das auch nicht. Die Villa dürfte über 400 m² Wohnfläche gehabt haben. Sehr beindruckend auch die überdachte Terasse zur Gartenseite hin, deren massives Dach zugleich einen großen Balkon für den ersten Stock bildet. Wir wären gerne zur Besichtigung in die Villa geklettert, dazu fehlte uns an diesem Tag die Zeit, so dass wir es vielleicht später nachholen und den Bericht darüber hier noch anhängen.

ehemalige Fabrikantenvilla verfällt
ehemalige Spielzeugfabrik, vorderer Teil

Von der früheren Spielzeugfabrik sind noch einige Gebäude erhalten, wovon manche heute als Werkstatt oder Garage genutzt werden, die meisten stehen ungenutzt leer, der Verfall beginnt, wäre aber mit eher geringem Aufwand noch zu stoppen. Im vorderen Bereich hat ein Elektriker aus einem Nachbardorf sein Materiallager eingerichtet. In einem Bereich des größeren

Mittelgebäudes stand eine Tür weit offen, so dass ich den Schnappschuss rechts sozusagen da rein schiessen konnte. Ein sehr langer Flur mit zig Zimmern oder eher Kabinen, die alle mit stabilen Stahltüren verschlossen waren. Inwiefern man das zur Spielzeugproduktion so brauchte, erschloss sich uns leider nicht. Man kann, soweit es die Möglichkeiten erlauben, heute auch nicht mehr sagen, welche Art von Spielzeugen dort mal gefertigt wurden. An diese Zeit erinnerte dort eigentlich gar nichts mehr. Klar, ein paar Hallen, auf denen jedoch kein Hinweis enthalten war, was dort mal genau gemacht wurde. Keine Fetzen von alten Verpackungen oder Spielzeugteilen, da hatte man nach der Werksschließung gründlich aufgeräumt. Mehr als diesen komischen Flur trauten wir uns dort im Innenbereich nicht zu betreten, weil in den vorderen

ehemalige Spielzeugfabrik, Teilbereich Innenflur
ehemalige Spielzeugfabrik, rückseitiger Hofbereich

Gebäudeteilen, die davon aber völlig getrennt sind, sets ein paar Leute am werkeln waren. In einem Teil schraubten 2 Männer an einem alten Opel-Rekord aus den 1960er Jahren, die uns schon die ganze Zeit etwas kritisch und missmutig beobachteten. Der hintere Bereich der Haupthalle wirkt verlassen und eine leichte Verwahrlosung hat eingesetzt. Die Gebäude sehen aber auch in dem Bereich so massiv aus, dass man sie noch gut einer neuen

Verwendung zuführen könnte, falls sich ein Interessent findet. Diese Spielzeugfabrik soll laut dem älteren Herrn ungefähr 1998 geschlossen haben, also deutlich später als oben diese Groberzschmelze. Durch den Niedergang der Hauptarbeitgeber fielen natürlich wesentliche Einnahmen in der ganzen Gemeinde weg. Die Geschäfte schlossen, weil keine Leute mehr kamen und das veranlasste dann wiederum noch mehr Leute wegzuziehen, da sie dort nicht mehr einkaufen konnten. Dieser Negativtrend hält bis heute an. Eine sterbende Gemeinde, könnte man sagen. Solche Phänomene, die teils ausgerechnet noch mit dem Trend zur Landflucht zusammen fielen, hat es immer wieder mal gegeben, aber sie betrafen meistens Orte die sehr abgelegen und weit von Ballungszentren entfernt lagen. Hier ist das mit dem abgelegen zwar der Fall, was die Lage hinter seichten Bergrücken und die Zuwegung betrifft, aber die Entfernung zu Ballungsräumen ist eigentlich nicht wirklich hoch. Der Raum Karlsruhe liegt von dem Dorf grob geschätzt 35 km entfernt, Pforzheim sogar höchstens um die 20 km und in diesem Umfeld gibts auch noch mehrere Klein- und Mittelzentren, wie man so sagt, also wirklich abgelegen, das ist was anderes. Umgekehrt hat es auch immer wieder sogenannte Stadtflucht - Phasen gegeben, wo viele Leute die Großstadt satt hatten und lieber aufs Land gezogen sind, was ja auch seine eindeutigen Vorteile hat. Auch dieser Trend wird mit absoluter Sicherheit wiederkommen, seine Anfänge bemerkt man in vielen Dörfern jetzt schon, nachdem die Landflucht - Phase vor etwa 8 Jahren ihren Höhepunkt erreichte. In diesem Dorf hier merkt man allerdings davon noch rein gar nichts, es ziehen weiter mehr Leute weg oder versterben, als neue hinzu kommen. Wenn die Verwaltung der Orte hingeht, und selbst noch die Abwanderungsbewegung durch eine miserable Gestaltung von Kosten mit anheizt, dann ist es eigene Dummheit und man kann für dieses Dorf nur hoffen, dass bald ein Umdenken stattfindet und es vor dem totalen Niedergang bewahrt wird, denn eigentlich hat es durchaus eine unauffällige, aber angenehme Idylle, in der man sich wohlfühlen könnte.

Ein Bekannter von uns, der früher hier bei uns in der Siedlung lebte, ist voriges Jahr in dieses Nachbardorf umgezogen, weil er dort ein älteres Haus recht günstig erwerben konnte. Sein neuestes Hobby ist der Flug mit Drohnen zwecks Fotoaufnahmen von oben. Er ist von diesem Hobby so besessen, dass er sich bereits 3 verschiedene Drohnen für unterschiedliche Zwecke gekauft hat. Damit machte er u.a. das abgebildete Luftbild, auf dem man den größten Teil dieses Dorfs von oben sieht. Nur die oben angesprochenen alten Fabrikanlagen kann man leider nicht ausmachen, weil diese etwas weiter östlich abgesetzt liegen, dafür hätte man den linken Bildrand um über 4 cm erweitern

Teilansicht des Dorfes von oben. Drohnenfoto von A. Meurer

müssen. Von oben wirkt das Dorf richtig idyllisch, wenn man sich in den Straßen befindet jedoch eher etwas trist. Wie auch sonst im Leben ist es immer eine Frage des Betrachtungswinkels, wie sich eine Sache darstellt. Der Bekannte, der diese Drohnenaufnahme freundlicher Weise zur Verfügung stellte (vielen Dank hierfür) lebt jedenfalls sehr gerne in dem Ort und findet, dass gerade dieser Zustand des leichten Aussterbens (so nennt er das, was da abläuft) eigentlich durchaus etwas Wunderbares an sich hat. Es ist meist schön ruhig, Hektik im Alltag gibts keine mehr, selbst so unangenehme Begleiterscheinungen der Neutzeit, wie randalierende Jugendliche, die ihrem hirnlosen Vandalismus freien Lauf lassen, gibt es dort so gut wie gar nicht, weil es erstens kaum Jugendliche dort gibt und zweitens, die, die es gibt, die orientieren sich mehr in größere Städte der Umgebung, um dort die Sau raus zu lassen. Da spielt sicher auch eine gewisse soziale Kontrolle eine Rolle, denn würden die Jugendlichen im Heimatdorf die Sau raus lassen, würde es sofort auf Jahre hinaus heissen, dass eben dieses oder jenes Rotzbübchen dort Sachbeschädigungen vorgenommen hätte und der eigene Ruf wäre auf mindestens ein Jahrzehnt ruiniert. Das wollen dann die meisten doch nicht riskieren. Also die eigentliche Lebensqualität, oder das, was wir dafür halten, ist dort gar nicht mal so schlecht.

Fortsetzung folgt........

 

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